- Friedensnobelpreis 1989: Dalai Lama Tenzin Gyatso
- Friedensnobelpreis 1989: Dalai Lama Tenzin GyatsoDas religiöse und politische Oberhaupt des tibetischen Volkes erhielt den Friedensnobelpreis für seinen jahrzehntelangen gewaltlosen Einsatz für die Befreiung Tibets von chinesischer Besetzung.Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama, * Taktser (Tibet) 6. 7. 1935 (als Lhamo Thöndup); 1937 Identifikation als Reinkarnation des Dalai Lama, 1940 Inthronisation als 14. Dalai Lama, 1950 volle weltliche Machtbefugnisse als Staats- und Regierungsoberhaupt von Tibet, 1954/55 Aufenthalt in China, März 1959 Doktorgrad in Buddhismuskunde, 17. 3. 1959 Flucht nach Indien, seit 1960 Exil im nordindischen Dharamsala, 1987 Fünf-Punkte-Friedensplan für Tibet.Würdigung der preisgekrönten LeistungAls dem Dalai Lama 1989 vom norwegischen Nobelpreiskomitee der Friedensnobelpreis verliehen wird, erhält er diese Auszeichnung nicht in seiner Eigenschaft als religiöser Führer, sondern weil er sich bei seinem Kampf für die Befreiung Tibets von chinesischer Besatzung »konsequent gegen den Einsatz von Gewalt ausgesprochen und stattdessen eine friedliche Lösung befürwortet hat, die auf Toleranz und gegenseitigem Respekt beruht«. Durch seine Friedensphilosophie, die seinem großen Respekt für alle Lebewesen und seinem universellen Verantwortungsgefühl für Menschheit und Natur entspringe, habe der Dalai Lama, so das Komitee, zur Lösung internationaler Konflikte, Menschenrechtsfragen und Umweltprobleme beigetragen.Der wiedergeborene PriesterfürstDer kleine Lhamo Thöndup, der 1935 als Sohn einer Kleinbauernfamilie in Taktser, einem kleinen Dorf im Nordosten Tibets, zur Welt kommt, ist noch keine drei Jahre alt, als im Haus seiner Eltern ein von der Regierung in Lhasa ausgesandter Suchtrupp erscheint. Die Männer sollen die neue Inkarnation des 1933 verstorbenen 13. Dalai Lama finden. Zahlreiche Omen und Orakel, die zuvor befragt wurden, haben ihnen den Weg gewiesen und nach mehreren Prüfungen steht für sie fest: Der Junge ist der 14. Dalai Lama, die Wiedergeburt seines Vorgängers und damit das zukünftige geistliche und politische Oberhaupt der Tibeter.Lhamo Thöndup wird nach Zahlung eines Lösegelds an den örtlichen chinesischen Machthaber zusammen mit seiner ganzen Familie in die tibetische Hauptstadt Lhasa gebracht, wo er 1940 im berühmten Potalapalast als Dalai Lama inthronisiert wird. Jetzt ist er der wieder auferstandene »Buddha der Barmherzigkeit« und trägt Titel wie »Siegreiches Kleinod«, »Kostbarer Meister« oder einfach »Kundun« (Gegenwart).Danach wird er buddhistischer Mönch und nimmt den Namen Tenzin Gyatso an. Von nun an ist sein Tag mit ausgedehnten Studien ausgefüllt: Zuerst lernt er Lesen und Schreiben, dann befasst er sich mit den heiligen Texten des Buddhismus, mit Logik, Philosophie, Dialektik, mit Sanskrit, Astrologie und den schönen Künsten. Die schwere Prüfung am Ende seines Studiums, bei der in einer öffentlichen Debatte vor mehreren tausend kritischen Zuhörern einen ganzen Tag lang sein Wissen abgefragt wird, absolviert der 24-jährige Dalai Lama mit Bravour und darf danach den Titel eines Geshe, eines buddhistischen Gelehrten tragen. Doch auch die europäische Naturwissenschaft und Technik lernt der junge Dalai Lama durch die Bekanntschaft mit dem österreichischen Naturforscher Heinrich Harrer kennen, wobei ihn vor allem die Mechanik interessiert. So gelingt es ihm, das Auto seines Vorgängers — in den 1940er-Jahren das einzige in ganz Tibet — wieder in Gang zu bringen, und das Reparieren von Uhren gehört bis heute zu seinen Leidenschaften.Chinesische GewaltherrschaftDoch im Oktober 1950 ist das friedliche Leben auf dem Dach der Welt vorbei. Das kommunistische Rotchina erhebt Anspruch auf das tibetische Staatsgebiet, das man »aus den Händen ausländischer Imperialisten befreien« müsse, und lässt eine Armee von 80 000 Mann einmarschieren. Die Tibeter verfügen lediglich über 8500 schlecht ausgerüstete Soldaten und können zudem keine völkerrechtliche Absicherung ihrer Souveränität vorweisen. Angesichts dieser Bedrohung wird der erst 15-jährige Dalai Lama für volljährig erklärt und mit allen weltlichen Machtbefugnissen ausgestattet. Von einem Tag auf den anderen muss er nun die politische Verantwortung für sein Land übernehmen, aus dem einfachen Mönch wird ein »Politiker wider Willen«. Dennoch versucht er, den ihm verbliebenen Handlungsspielraum zu nutzen, führt Reformen durch und versucht, sich mit den Chinesen zu verständigen. Doch der aggressive Nachbar ist übermächtig und zwingt der tibetischen Regierung ein »Siebzehn-Punkte-Abkommen« auf, in dem unter anderem die »Rückkehr« Tibets in die Volksrepublik China proklamiert wird. Das bedrängte Land bittet das Ausland um Hilfe, doch die kommt nicht.Während sich die Chinesen in der Hauptstadt Lhasa zunächst noch bemühen, eine zivilisierte Fassade aufrecht zu erhalten, schlagen sie in den Dörfern mit äußerster Härte zu: Tausende tibetischer Kinder werden zur Umerziehung nach China deportiert, die buddhistischen Klöster werden systematisch zerstört und es drohen Hungersnöte, weil die Besatzer mit Lebensmitteln versorgt werden müssen.Allmählich beginnt sich bei den Tibetern Widerstand zu regen, der sich im März 1959 zum Volksaufstand ausweitet. Die chinesischen Besatzer antworten mit beispielloser Brutalität: Städte, Dörfer und Klöster werden bombardiert und ganze Gebiete unter Artilleriefeuer genommen, Massaker, Folterungen und Hinrichtungen, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sind, sind an der Tagesordnung. Um einer vermutlichen Entführung durch die Chinesen zu entgehen, verlässt der Dalai Lama am 17. März 1959 heimlich Lhasa und flieht nach Indien.Unbeirrt, aber friedvollSeit über 40 Jahren lebt der Dalai Lama zusammen mit Zehntausenden tibetischen Flüchtlingen im Exil im nordindischen Dharamsala, wo er eine Exilregierung eingesetzt und zahlreiche Institutionen für den Erhalt des kulturellen und religiösen Erbes seiner Heimat gegründet hat. Er tritt in Kontakt zu Staatsmännern und Kirchenführern, macht immer wieder Vorschläge, um die Tibetfrage zu lösen, wie etwa 1987 mit seinem »Fünfpunkteplan«, in dem er die Vision von einer entmilitarisierten »Friedenszone Tibet« entwickelt. Doch aus Rücksicht auf das mächtige China ignorieren ihn viele politische Entscheidungsträger immer noch.So bedeutet die Verleihung des Friedensnobelpreises 1989 für den Dalai Lama nicht nur die internationale Anerkennung seiner Friedensbemühungen, sondern rückt durch die damit verbundene Popularität auch das Schicksal Tibets stärker ins Interesse der Weltöffentlichkeit. Das führt unter anderem zur Gründung zahlreicher Hilfsorganisationen und 1991 erstmals seit Jahrzehnten wieder zu einer Debatte in der UNO über die Menschenrechtslage in Tibet. Doch der Einsatz des Dalai Lama gilt nicht allein der Verteidigung der Menschenrechte in Tibet. Dem Kern der buddhistischen Ethik folgend, keinem Lebewesen ein Leid zu tun und sich zu bemühen, die Bedürfnisse aller zu erfüllen, wirbt er für ein friedliches Miteinander auf dem ganzen Planeten Erde, um das Überleben der Menschheit zu sichern.Und auch nach jahrzehntelanger Fremdherrschaft der Chinesen über sein Volk hält der Mönch Tenzin Gyatso weiter strikt an der Gewaltlosigkeit fest und legt einen eigensinnigen Optimismus an den Tag, wenn er sagt: »Auf lange Sicht wird das Mitgefühl China entwaffnen.«S. Straub
Universal-Lexikon. 2012.